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Intervention

By Sonja Hegasy

Ägypten ist bekannt dafür, dass es erst einmal aufräumt, bevor JournalistInnen kommen und Bilder mitnehmen: Straßen werden gefegt, Wände auf ein paar Metern gestrichen, der Müll eingesammelt und Journalisten damit in den Wahnsinn getrieben. Die Verbreitung von „Falschinformationen“, die das Bild Ägyptens im In- oder Ausland beschädigen können, kann für Medienschaffende in Ägypten seit dem Anti-Terror Gesetz von 2015 eine strafbare Handlung sein und wird als Mittel der Einschüchterung eingesetzt. Viele Menschen sind heute im Gefängnis, weil sie angeblich falsche Informationen über das Land verbreitet haben.

Natürlich war das Fotografieren von militärischen Einrichtungen oder den notorischen Gefängnissen im Stadtbild schon immer verboten. Seitdem 2013 das Militär an die Macht kam, sollte man aber auch die Panzer im Straßenbild nicht fotografieren - sowie einiges andere nicht. Auf meiner letzten Reise 2024 wurde ich angesprochen, als ich die Blüten eines Cashew-Baums fotografierte. Mir wurde bescheinigt, dies seien keine „Blumen“, womit der Wächter wohl Recht hatte.

Seit „DER REVOLUTION“ – gemeint sind die zivilgesellschaftlichen Proteste, die 2011 zur Absetzung von Hosni Mubarak und seiner Regierung führten – habe ich keine Reise erlebt, in der ich nicht Ärger fürs Fotografieren bekam oder zumindest darauf angesprochen wurde, hier gebe es nichts zu sehen – bitte weitergehen!

Für dieses Foto von blau glasiertem Agrarzubehör aus Keramik in einem Wohnviertel in Madinat Nasr wollte mir 2022 ein Wachmann meinen Pass abnehmen. Es war etwas peinlich vor der 25 Jahre jüngeren Tochter meines Cousins, da es sich um so ein typisches Ausländerproblem handelte und das Motiv nicht augenscheinlich dazu einlud, Risiken einzugehen. Ich musste schnell entscheiden, wie die Situation einzuschätzen ist. Schließlich schnappte ich ihm den Pass aus der Hand. Er ist ja kein Polizist, dachte ich bei mir.

Ebenso unangenehm ist es der Forscherin bekanntermaßen, ihr Forschungsfeld durch die eigene Anwesenheit oder möglicherweise eine Intervention zu verändern. In Marokko wartete ich 2013 einmal gespannt wie ein Luchs auf die Eröffnung des ersten Nationalarchivs in Rabat. Als ich Jahre später nachfragte, wie viele Personen in der Zwischenzeit das Archiv genutzt hatten und darum bat, ein Foto von der Exceldatei machen zu dürfen, fand ich meinen Namen an erster Stelle… 🫣

2024 in Ägypten wurde die Intervention noch kontraproduktiver: Zum ersten Mal hatte im Jahr zuvor eine private Kairener Galerie zu einer Verkaufsausstellung des ägyptischen Bildhauers Hassan Heshmat (1920–2006) eingeladen. Zum ersten Mal gab es professionelle Fotos mit Titel und Maßen der Werke – nicht nur im Netz, sondern überhaupt. Vierzig Werke wurden ausgestellt, 17 verkauft.

Mir kam die Idee, selbst ein Kunstwerk zu kaufen, um den Prozess zu verstehen und möglicherweise Kontakt zum Sammler aufzunehmen. Erst da wurde der Geschäftsführerin bewusst, dass die ganze Seite mit Preisen noch im Netz stand. Damit ich sehen konnte, was noch zum Verkauf stand (und da die Preise sich geändert hatten) entfernte sie alle 17 verkauften Werke.

An seiner ehemaligen Wirk- und Wohnstätte in Ain Shams gibt es seit 2018 auch ein staatliches Museum von Hassan Heshmat. Ain Shams bedeutet „Auge der Sonne“ nach der antiken Stadt Heliopolis, die einst das geistige Zentrum der altägyptischen Sonnenanbetung war. Hassan Heshmat hatte das Haus mit üppigem Stadtgarten 1960 auf Vermittlung des einflussreichen Kulturministers unter Nasser und Mitglied der Freien Offiziere Dr. Tharwat Okasha (1921-2012) gemietet, später erworben und Ende der 1990er Jahren entschieden, Haus, Galerie, Brennöfen und Garten nach seinem Tod dem Kulturministerium zu vermachen mit der Auflage, dort ein Museum mit Veranstaltungsraum für Kinder und Jugendliche einzurichten.

Als ersten Akt nach dem Tod des Künstlers, nahm sich der Staat 1/3 des 1.200qm großen Gartens, um die Straße vor dem Haus zu verbreitern. Und erst als die Familie 16 Jahre später öffentlich protestierte, warum das Museum immer noch nicht eröffnet sei, tat sich etwas. Die Pforten des Museums sind heute geöffnet, wenn auch nicht mehr das vom Künstler selbst gestaltete Originaltor aus Metall vorhanden ist (wo ist es hin?). Es folgte eine Glastür mit einem neuen Zaun. Nicht viele Jahre später besteht dieser Zaun fast nur noch aus alten Pappkartons – kein schönes Bild! Aber Kinder konnten tatsächlich im Museum malen und Ton kneten. Ich habe die Facebookseite des Museums wiedergefunden mit unendlich vielen Fotos von stolzen Jungen und Mädchen zwischen 2018 und 2023.

Vor Ort erfuhr ich, dass der Direktor gewechselt hatte, und die Facebookseite seine Privatinitiative war. Zu meinem Schrecken musste ich feststellen, dass selbst Google das Museum nicht auf seinen Karten verzeichnet hat. Es liegt direkt an der Metro-Station Ain Shams. Jedes Kentucky Fried Chicken- oder Wimpy-Restaurant ist auf Kairos Stadtplan verzeichnet. Aber das Hassan Heshmat Museum ist nicht zu finden. Und nun hatte ich dazu beigetragen, die Seite der Galerie im Netz substantiell zu reduzieren. Die verkauften Werke sind in Privathänden verschwunden.

 

 

Addendum

In Reaktion auf diesen Text, intervenierte die ägyptische Kunsthistorikerin Nadine Nour el Din bei Google, damit der Status des Museums von „dauerhaft geschlossen“ auf „offen“ geändert wird.

The Hassan Heshmat Museum

24, Gharb al-Sharit, Ain Shams, Kairo

Öffnungszeiten: Täglich außer Freitag und Montag von 10 bis 14 Uhr.

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